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Hat mein Leben Sinn gehabt?
Bestimmt ist es Ihnen schon einmal so
gegangen, dass Sie über eine verpasste Chance –
privater oder beruflicher Natur – ärgerlich oder
traurig gewesen sind. Fühlen wir uns mitten im
Leben, schmerzen solche verpassten Chancen, aber
in der Regel können wir uns nach einer Weile
trösten: das Leben geht ja
weiter...
Menschen, die wissen, dass sie
nicht mehr lange zu leben haben, erinnern sich oft
all der Begebenheiten in ihrem Leben, die nicht
glücklich verlaufen sind. Und es kann passieren,
dass ihnen ihr Leben wie eine Ansammlung von
Fehlern und Versagen erscheint, dass sie von
Gefühlen wie Reue, Schuld, Wut, Angst, Verletzung
und Kummer überwältigt werden.
In dieser
Situation ist es sehr wichtig, dass jemand da ist,
der dem Sterbenden hilft, sich an all das zu
erinnern, was in seinem Leben glücklich verlaufen
ist; Erfahrungen, an denen er gewachsen ist,
Zeiten, in denen er mutig auf sich selbst geschaut
oder sich verändert hat, Augenblicke, in denen er
Schwierigkeiten oder Begrenzungen überwunden hat,
Momente, in denen er anderen verziehen oder andere
um Verzeihung gebeten hat, Situationen, in denen
er aus Mitgefühl gehandelt oder sich für andere
eingesetzt hat, Momente, in denen er anderen etwas
Wichtiges beigebracht oder gezeigt hat,
Augenblicke voller Liebe oder Verstehen und und
und.
Jeder Mensch hat in seinem Leben
immer wieder auch etwas gedacht, gefühlt oder
getan, das Gutes bewirkt hat, etwas, auf das er
mit Recht sehr stolz sein kann. Und es sind diese
Momente, die in den Menschen leben werden, die ihm
wichtig sind.
Wie wichtig es ist, dass
unser Herz mit positiven Gefühlen für uns, für
andere und für unser Leben erfüllt ist, wenn wir
sterben, Gefühle wie Mitgefühl, Akzeptanz,
Vergebung und Liebe, berichtet Christine Longaker
aus ihrer langjährigen Arbeit. Sie erzählt, dass
viele Menschen, die sie im Sterben begleitet hat,
noch einen Sinn im Leben finden konnten, weil sie
ihrem Lebens-Ende Sinn verliehen: durch das
Eingeständnis und das Bedauern, anderen Schaden
oder Leid zugefügt zu haben und die Bereitschaft,
es wieder gut zu machen. Sei es, indem sie
Betroffene um Vergebung baten oder ihnen
verziehen, sei es, indem sie eine Schenkung
machten, um einen Schaden wieder gut zu machen,
ihre Wertschätzung auszudrücken oder eine
gemeinnützige Arbeit zu unterstützen, sei es,
indem sie den Menschen, die ihnen nahe standen,
ihre Dankbarkeit und Liebe ausdrückten, sei es,
indem sie das Gute und Schöne im Leben schätzten,
sei es indem sie über eine Organspende verfügten,
sei es, indem sie eine einzige selbstsüchtige
Gewohnheit änderten...
„Zu viele Menschen
machen den Fehler, das Leben nach seiner Länge,
nicht aber nach seiner Tiefe zu beurteilen, nach
seinen Schwierigkeiten und nicht nach seinen
verheißungsvollen Aussichten. Man ist niemals zu
alt oder zu krank, um zu wachsen.“
(Rabbi
Pesach Krauss, zitiert nach Christine Longaker:
Dem Tod begegnen und Hoffnung finden, S.
222.)